Andreas Felder

Hallo, ich bin Andreas

Ein Appell, der wachrütteln soll. Zehn Menschen starben bei der Amoktat in Graz. Doch Gewalt beginnt oft viel früher. Dieser Text ist ein persönliches Statement als psychosozialer Berater, Vater – und Mensch.

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Thema des Tages

Jetzt schauen alle hin. Aber wer hat damals hingeschaut?

Zehn Menschen sind an diesem Morgen aufgebrochen.
In einen Alltag, der keiner mehr wurde.
Zehn Kinder, Jugendliche, Erwachsene,
die nie mehr nach Hause kamen.
Zehn Familien, die ihre Liebsten nie mehr umarmen konnten.
Zehn Stühle, die leer bleiben.

Und ein elftes Leben, das zerstörte und sich selbst mit.

 

Eine ganze Schule verstummt.
Lehrerinnen und Lehrer weinen. Schülerinnen und Schüler zittern.
Eltern rufen an, bekommen stundenlang keine Antwort.
Sie wissen nicht: War es mein Kind?
Ist es unter den Opfern?
Oder unter denen, die überlebt haben aber nie wieder dieselben sein werden?
Jetzt ist der Aufschrei groß.

Politikerinnen und Politiker, Direktorinnen und Direktoren sowie andere Verantwortliche sprechen von Prävention, holen Pläne aus der Schublade, halten Pressekonferenzen.

 

Sie sagen: „Das darf nie wieder passieren.“

Aber wo wart ihr, bevor es passiert ist?

 

Denn Mobbing ist kein neues Problem.
Verzweifelte Kinder sind kein neues Phänomen.

Und das Wegsehen, das gibt es schon viel zu lange.

 

Ich arbeite als psychosozialer Berater,
Krisen- und Trauma-Fachberater,
Traumapädagoge und Gatekeeper der Suizidprävention.
Ich begleite Kinder, Jugendliche, Eltern, Lehrkräfte und Einsatzkräfte inmitten ihrer Krisen, inmitten ihrer Sprachlosigkeit.
Und ich weiß, wie es sich anfühlt,
wenn das eigene Kind leidet und dir niemand glaubt.
„Das ist vielleicht nur die Sichtweise Ihres Kindes.“
„Wir beobachten das mal.“
„Mobbing ist das vielleicht noch nicht, da fehlen noch Kriterien.“
„Wir setzen einen Gesprächstermin in drei Wochen an.“
Drei Wochen, in denen sich nichts ändert.
Drei Wochen, in denen das Kind weiter allein steht.
Drei Wochen, in denen jeder Blick weh tut.
Aber wie viele Tränen braucht es denn, bis man endlich hinschaut?
Und manchmal mobbt nicht ein Kind.
Manchmal ist es eine LehrerIn.
Und selbst dann heißt es:
„Das ist die Sichtweise ihres Kindes. Ich habe eine andere.“
Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, Direktorinnen und Direktoren, die dann sagen:
„Vielleicht wäre eine Psychotherapie gut damit das Kind lernt, damit umzugehen.“
Aber warum?
Weil es gemobbt wird?
Weil es leidet?

Ist das gemobbte Kind das Problem?

 

Und der Mobber, die Mobberin?
Da macht man dann ein Gruppenspiel in der Klasse zur „Stärkung des Miteinanders“.
Doch niemand sagt ihm, was er tut.

Niemand benennt den Schmerz, den er verursacht. Und so bleibt alles unausgesprochen. So bleibt das System bequem und das Kind allein.

 

Ich erinnere mich an ein 11-jähriges Mädchen in einem Workshop.
Sie sagte von sich aus: „Ich geh nie zu einer Psychotherapeutin.
Die hören mir eh nicht zu.“
Ich antwortete:
„Aber du sprichst gerade mit mir. Ich bin psychosozialer Berater.“
Sie sah mich an:

„Ja. Aber du hörst mir zu.“

 

Diese Sätze bleiben.

Weil sie zeigen, woran es fehlt.

 

Denn Gewalt beginnt nicht mit einer Waffe.
Sie beginnt im Kleinen.
Im Wiederholten.

Im übersehenen Schmerz.

 

Jetzt redet man darüber, wie man Täter aus Schulen fernhalten kann.
Scanner. Bodyguards. Sicherheitskonzepte.

Doch das ist nicht der Anfang. Das ist das Ende.

 

Die eigentliche Frage muss lauten:

Wie verhindern wir, dass ein Mensch überhaupt erst zur Täterin oder zum Täter wird?

 

Und das geht nicht mit drei Stunden Schulsozialarbeit pro Woche.
Das geht nicht mit leeren Phrasen.

Das geht nur mit echter Prävention und echtem Willen.

Doch genau hier fehlt es.

 

Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Psychiaterinnen und Psychiater sind wichtig.
Aber sie können nicht alles allein leisten.

Prävention beginnt viel früher. Dort, wo psychosoziale Beraterinnen und Berater, Traumapädagoginnen und Traumapädagogen sowie Krisenfachkräfte längst bereitstehen, zuhören, stabilisieren. Wenn man sie nur ließe.

 

Doch es fehlt an Geld.
An Vertrauen.
An Offenheit.
Statt Förderungen auszubauen, werden sie gestrichen. Programme wie Gesund aus der Krise wurden gekürzt.

Lehrkräfte sagen mir, sie hätten gerne mehr Unterstützung, aber dürfen niemanden anstellen. Die Bildungsdirektionen und Bundesregierung geben keine weiteren Mittel frei.

 

Und währenddessen hören wir:

„Wir tun alles, damit so etwas nie wieder passiert.“

 

Nein. Das tut ihr nicht.

 

Wenn ihr es ernst meint,
dann öffnet endlich die Türen.
Dann lasst Fachkräfte in die Schulen.
Niederschwellig. Täglich. Verlässlich.
Dann hört auf, euch hinter Zuständigkeiten zu verstecken.

Und hört auf, so zu tun, als sei Prävention ausschließlich Psychotherapie.

 

Denn es gibt auch gesunde Kinder, die einfach Hilfe brauchen bevor sie krank werden.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man um Hilfe ruft.
Wenn man nicht nur bittet, sondern schreit.
Wenn man sagt: „Bitte, schaut hin.“
Und man stößt nur auf Wände.
Wird als überempfindlich, als lästig, als schwierig dargestellt.
Ich habe das selbst erlebt.
Nicht nur als Fachkraft.
Sondern als Vater.
Darum schreibe ich diesen Text.
Für die, die nicht mehr sprechen können.
Für die, die überlebt haben, aber alles verloren.
Für die, die nie wieder heimgekommen sind.

 

 

 

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Ich habe die Tränen einer Mutter gehört, die ihr ermordetes Kind zu Grabe getragen hat.

„Sie haben uns gebeten, still zu sein. Mitten im Schmerz.
Damit das öffentliche Bild nicht beschädigt wird.“

Eine Mutter eines der ermordeten Kinder vom Amoklauf in Graz hat mir auf mein Posting geschrieben.

Sie hat mir eine Sprachnachricht geschickt.
Sie konnte kaum sprechen.
Sie hat geweint, gerungen um Worte.

Weil sie niemand hört.
Weil ihre Stimme so wie die ihres Kindes im Lärm der Welt untergeht.

Ich habe Tränen in den Augen gehabt, als ich sie gehört habe.
Weil sie gerade ihr Kind zu Grabe getragen hat.
Ein Kind, das sie nie wieder in den Arm nehmen kann.
Ein Kind, das Opfer eines Amoklaufs wurde.

Und während Politiker vor Mikrofonen sagen:
„Das darf nie wieder passieren“,
passieren im Hintergrund Dinge, die fassungslos machen.

Die Stadt verspricht Hilfe, aber liefert nur Schweigen.
Versprochen wurde, dass alle Begräbnisse bezahlt werden.
Aber was nicht gesagt wird:
Nur jene, die in Österreich stattfinden nicht jene Kinder,
deren Familien sie in der Heimat beerdigen wollen.

„Wer „spart“ schon für die Beerdigung seines Kindes?“
sagte mir die Mutter leise unter Tränen.
Ein Satz, der mir das Herz zerrissen hat.

Sie haben als Eltern versucht, mit einem GoFundMe Spenden zu sammeln, weil es keine offizielle Unterstützung gab.
Bis heute warten sie auf Antworten.
Bis heute herrscht Unsicherheit.

Und mitten im Schmerz mitten in der Trauer werden sie gebeten, still zu sein. Damit das Bild nach außen passt.

Und dann hat sie etwas gesagt,
das mich noch mehr erschüttert hat:
„Alle kennen den Täter. Seine Herkunft. Sein Gesicht.
Aber niemand spricht über unsere Kinder.
Man macht dem Täter ein Denkmal, online.
Unsere Kinder bleiben unsichtbar.“

Und noch etwas hat sie erzählt.
Bei einer Spendenaktion wurde ein Bild ihrer Tochter geteilt
ein Mädchen mit Kopftuch.
Darunter in den Kommentaren stand:
„Davon hätte ruhig noch mehr sterben können.“

Wie ist das möglich?
Wie kann eine Gesellschaft so laut sein und trotzdem genau dort still bleiben, wo es endlich laut werden müsste?

Am Montag telefoniere ich mit der Staatssekretärin für Gesundheit und Soziales.
Ich werde erzählen, was ich gehört habe.
Ich werde erzählen, was Familien erleben.
Und ich werde nicht leiser sprechen als nötig.
Damit niemand mehr darum bitten muss, gehört zu werden.

Für die Kinder. Für die Familien.
Für diese Mutter.

Die mit ihrer Stimme so viele andere vertritt,
weil sie selbst keine Kraft mehr haben zu sprechen.

Ich wünsche mir, dass dieser Beitrag
mit eurer Hilfe mit eurem teilen ein lautes Zeichen wird.

Ein Zeichen gegen das Vergessen.
Ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeit.
Ein Zeichen für Menschlichkeit.

Ich habe die Tränen dieser Mutter gehört.
Politiker was hört ihr?
Hört ihr die stummen Opfer dieses Amoklaufs?
Oder seid ihr schon wieder still geworden dort, wo es laut sein müsste?

 

Ich habe sie gefragt, ob ich das erzählen darf.
Weil ihre Stimme nicht wieder ungehört bleiben darf.

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Andreas Felder
Psychosozialer Berater | Krisen- & Trauma-Fachberater
Traumapädagoge | Gatekeeper Suizidprävention

Trainer psychischer Erste Hilfe Sekundarstufe I & II

 

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